Rainer Menke

THE WHITE BOX

Lars Reimers über das Projekt „White Box“: Seit 2003 fotografiert Rainer Menke junge, meist schwule oder queere Männer. Die Porträts zeigen Männer, die ganz direkt und häufig nackt oder wenig bekleidet mit einer großen Offenheit und ohne sichtbare Scheu Rollenbilder in Frage stellen, die Narben des ein Mann werden zeigen, den Wunsch nach Auslöschung und Selbstverletzung verspielt inszenieren oder abseitige sexuelle Fantasien in Szene setzen. In einem Porträt werden blutrote Papierknäule zu Fleischfetzen, die vor dem knienden Model wie die Überbleibsel zerhackter Beine angeordnet sind. Ein transsexueller Mann zeigt die Narben einer Brustverkleinerung her. Ein weiterer Mann, der nach vorne übergebeugt ist, lässt sich den Rücken blutig flagellieren, ob es dabei um Bestrafung oder Lustgewinn geht, lässt sich nicht entscheiden. Aber nicht in allen Porträts dienen Gewalterfahrung, Verletzung oder Aggression zur Bestimmung und Sichtbarmachung des eigenen Ichs. Bunnies hoppeln durchs Bild und spielen verführerisch mit phallischen Pistolen. Ein Christus-Typ – nur leicht mit goldenem Skapulier bekleidet – breitet die Arme zu einer verstörenden Geste des Willkommens aus. Ein junger Mann, Student vielleicht, sitzt ganz einfach so auf einem quadratischen Tisch mit chromglänzenden Beinen. Obschon die Verkleidung, das Make Up, die Requisiten und die Special Effects deutlich sichtbar sind, haben die Bilder nichts Theatralisches, vielmehr tragen das Kostüm und die Maskerade dazu bei, einen intimen und äußerst persönlichen Moment als solchen zu entlarven. Den Moment sich so fotografieren lassen zu wollen, wie man sich selber sieht. Menkes erstaunliches Langzeitprojekt folgt zwei einfachen Regeln: Die Männer kommen mit der Idee, wie sie sich fotografieren lassen wollen und bringen die Requisiten und Kostüme mit, die in der Aufnahme zu sehen sein sollen. Die Porträtaufnahmen entstehen immer in demselben Setting. Einer vom Künstler entworfenen multifunktionalen und mobilen Box, welche als Fotostudio, als Ausstellungsraum oder als Installation eines kunterbunten biographischen Theaters fungieren kann. Sein mobiles Fotostudio kann Menke an unterschiedlichen Orten öffnen. In Galerien und Ausstellungsräumen oder in seinem Atelier. Ein weißer, gleichmäßig ausgeleuchteter Raum wird zur Bühne, auf der die abgebildeten Männer ihre Vision von sich selbst entfesseln können. Der Fotograf löst aus, sobald das Model sich eingerichtet hat. In dieser paradoxen Situation, dass Männer sich fotografieren lassen wollen, der Fotograf aber auf seine vornehmste Aufgabe das ins Bild setzen verzichtet, entsteht ein unbestimmter, freier Raum, in welchem die Porträtierten eine Performance ihres intimen Selbst aufführen können. Sie entblößen dabei nicht so sehr ihre verborgenen und geheimnisvollen Begierden, vielmehr lassen die Porträtierenden die Betrachtenden teilhaben am Vergnügen, das ihnen die Darstellung ihre Sexualität bereitet. Ein häufiges Motiv der Bilder ist die Gesichtsmaske hinter der sich die Individualität und Persönlichkeit verbergen lassen. Sich zeigen und gesehen werden zu wollen bedeutet eben nicht zwangsläufig auch erkannt werden zu wollen. Allerdings lässt sich in den Porträts nicht entscheiden, ob die Maske aus Scham getragen wird oder weil sie zum Spiel dazugehört. Aber auch wenn die Gesichter nicht sichtbar sind, erzählen diese Porträts Lebens- und Lustgeschichten. Denn die haben in den Körpern ihre Spuren hinterlassen, sich eingeschrieben und werden von diesen reproduziert. Über die Jahre eines kontinuierlichen Arbeitsprozesses ist ein beeindruckender Fundus entstanden von Porträts, die ihre erstaunliche Komplexität durch eine verspielte oder ironische oder bierernste Inszenierung des Selbst erhalten. Menkes Porträts leuchten keine Charaktere aus. Sie zeigen Menschen mit Identitäten, die sich an und die sich ablegen lassen wie eine Gummimaske mit Reißverschluss oder wie eine zweite Haut. (2024)

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Rainer Menke über sein Projekt "White Box" Meistens fotografiere ich Menschen aus dem LGBTQ Umfeld in meiner BOX. Am häufigsten schwule Männer, oft Escorts, männliche Sexarbeiter. Die Box (ca. 2m x 2m x 2m) steht in meinem Atelier. Meistens lerne ich die Männer über GAYROMEO kennen. Die Box ist der Freiraum, in dem die Männer machen können was sie wollen, wozu sie Lust haben, zeigen können, was sie gerne zeigen und tun wollen: ihre Kunst, Performances, Sex mit Partnern, Fetische zeigen, Dildos benutzen, in die Ecke pinkeln. Die Box ist vor allem ein Freiraum für eigene Inszenierungen, Selbstdarstellung, sexuelle/pornografische Fantasien und -aktionen oder eben lediglich ein nicht näher definierter weißer, leerer Raum. Fotografie, Portraitfotografie, so wie ich sie mache, ist für mich soziale Handlung, eine Form intensiver Kommunikation und des Austauschs. Einige Männer fotografiere ich schon seit vielen Jahren. Mit einigen von ihnen bin ich mittlerweile befreundet. Die Shootings, die Treffen mit den Menschen, die ich fotografiere, sind Teil meines sozialen Lebens. Diese Kontakte sind mir wichtig, ebenso die entstandenen Fotografien. Die Fotos entstehen in einem wechselseitigen, kreativen Prozess. „WIR machen Fotos“ - wobei das Primat, eigene Ideen zu inszenieren bei den Menschen liegt, die ich fotografiere. Ideen und Vorschläge, die ich einbringe, sind eben Vorschläge und von daher rein fakultativ, müssen also nicht umgesetzt werden. Ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Modellen ist integraler Bestandteil meiner/unserer gemeinsamen fotografischen Arbeit und des künstlerischen Prozesses. Die Männer bekommen alle Fotos, die ich von ihnen mache und können sie für ihre Zwecke nutzen – oft für ihre Social Media Accounts, als Werbung für ihre Sexarbeit oder sonstige Zwecke. Egal, was die Männer machen, mir ist wichtig, dass sie sich selbst auf den Fotos „schön“ finden, ihre Sichtweise auf sich selbst, so, wie sich selber gerne sehen und sehen möchten. Jeder Mensch hat seine Vorstellung davon, wie er/sie aussieht und wie er/sie aussehen möchten. Es gehört daher dazu, dass sehr oft meine Sicht mit der Sichtweise der Fotografierten kollidiert: wie sie sich selbst auf dem Foto sehen und was ich sehe (oder zu sehen glaube) kann fundamental unterschiedlich sein. Ein Ausdruck, eine Geste, die ich als Fotograf besonders gut und wichtig finde, kann bei dem Fotografierten auf heftigen Widerstand stoßen, weil er oder sie sich selbst eben nicht so sieht und oder auch genau so nicht gesehen werden will. In ganz seltenen Fällen ist es vorgekommen, dass alle Bilder eines Shootings von den Fotografierten nicht freigegeben wurden oder gerade die Bilder, die ich besonders gut und gelungen fand, nicht veröffentlicht werden durften. Das ist eine wichtige Regel: Fotografien, die den Abgebildeten nicht gefallen, werden nicht veröffentlicht, müssen ggf. gelöscht werden. Im Laufe der Jahre entstanden tausende von Bildern Ich stelle einen Freiraum zur Verfügung, den ich in meiner Jugend selbst nicht hatte. Bis zu meinem 14. Lebensjahr wurden Schwule ins Zuchthaus gesteckt, waren sexuelle Handlungen zwischen Männern ein krimineller Akt, ein Verbrechen, ein Straftatbestand. Sich zu Männern sexuell hingezogen zu fühlen, wehrte ich ab, litt an Schuld- und Angstgefühlen. Schwule Männer, die in der Öffentlichkeit beschimpft oder zusammengeschlagen wurden, sind in meiner Erinnerung. Männer, die sich als „schwul“ bezeichnen zu treffen, zu fotografieren, ohne Angst vor Verfolgung zu haben, ist leider auch heute nicht selbstverständlich: in 6 Ländern werden homosexuellen Handlungen mit dem Tod bestraft, in fünf weiteren Ländern könnte die Todesstrafe unter bestimmten Bedingungen gegen Homosexuelle ausgesprochen werden. Insgesamt wird in 69 Staaten gleichgeschlechtliche Sexualität noch strafrechtlich verfolgt (Quelle: LSVD Lesben und Schwulenverband) Seit 2017 fotografiere ich in der Box auch an öffentlichen Orten (UdK Rundgang, Galerien, Europäischer Monat der Fotografie)) live Ausstellungsbesucher*innen, die spontan Lust haben, sich fotografieren zu lassen und andere, mit denen ich in der Galerie zum Fotografieren verabredet bin. Die Box lässt sich per Flügeltür auf Wunsch schließen und ermöglicht so auch im öffentlichen Raum „Privatheit“ und „Intimität“.