Rainer Menke über sein Projekt "White Box"
Meistens fotografiere ich Menschen aus dem LGBTQ Umfeld in meiner BOX. Am häufigsten schwule Männer, oft Escorts, männliche Sexarbeiter.
Die Box (ca. 2m x 2m x 2m) steht in meinem Atelier. Meistens lerne ich die Männer über GAYROMEO kennen. Die Box ist der Freiraum, in dem die Männer machen können was sie wollen, wozu sie Lust haben, zeigen können, was sie gerne zeigen und tun wollen: ihre Kunst, Performances, Sex mit Partnern, Fetische zeigen, Dildos benutzen, in die Ecke pinkeln.
Die Box ist vor allem ein Freiraum für eigene Inszenierungen, Selbstdarstellung, sexuelle/pornografische Fantasien und -aktionen oder eben lediglich ein nicht näher definierter weißer, leerer Raum.
Fotografie, Portraitfotografie, so wie ich sie mache, ist für mich soziale Handlung, eine Form intensiver Kommunikation und des Austauschs. Einige Männer fotografiere ich schon seit vielen Jahren. Mit einigen von ihnen bin ich mittlerweile befreundet. Die Shootings, die Treffen mit den Menschen, die ich fotografiere, sind Teil meines sozialen Lebens. Diese Kontakte sind mir wichtig, ebenso die entstandenen Fotografien.
Die Fotos entstehen in einem wechselseitigen, kreativen Prozess. „WIR machen Fotos“ - wobei das Primat, eigene Ideen zu inszenieren bei den Menschen liegt, die ich fotografiere. Ideen und Vorschläge, die ich einbringe, sind eben Vorschläge und von daher rein fakultativ, müssen also nicht umgesetzt werden.
Ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Modellen ist integraler Bestandteil meiner/unserer gemeinsamen fotografischen Arbeit und des künstlerischen Prozesses.
Die Männer bekommen alle Fotos, die ich von ihnen mache und können sie für ihre Zwecke nutzen – oft für ihre Social Media Accounts, als Werbung für ihre Sexarbeit oder sonstige Zwecke.
Egal, was die Männer machen, mir ist wichtig, dass sie sich selbst auf den Fotos „schön“ finden, ihre Sichtweise auf sich selbst, so, wie sich selber gerne sehen und sehen möchten. Jeder Mensch hat seine Vorstellung davon, wie er/sie aussieht und wie er/sie aussehen möchten. Es gehört daher dazu, dass sehr oft meine Sicht mit der Sichtweise der Fotografierten kollidiert: wie sie sich selbst auf dem Foto sehen und was ich sehe (oder zu sehen glaube) kann fundamental unterschiedlich sein. Ein Ausdruck, eine Geste, die ich als Fotograf besonders gut und wichtig finde, kann bei dem Fotografierten auf heftigen Widerstand stoßen, weil er oder sie sich selbst eben nicht so sieht und oder auch genau so nicht gesehen werden will. In ganz seltenen Fällen ist es vorgekommen, dass alle Bilder eines Shootings von den Fotografierten nicht freigegeben wurden oder gerade die Bilder, die ich besonders gut und gelungen fand, nicht veröffentlicht werden durften. Das ist eine wichtige Regel: Fotografien, die den Abgebildeten nicht gefallen, werden nicht veröffentlicht, müssen ggf. gelöscht werden.
Im Laufe der Jahre entstanden tausende von Bildern
Ich stelle einen Freiraum zur Verfügung, den ich in meiner Jugend selbst nicht hatte. Bis zu meinem 14. Lebensjahr wurden Schwule ins Zuchthaus gesteckt, waren sexuelle Handlungen zwischen Männern ein krimineller Akt, ein Verbrechen, ein Straftatbestand. Sich zu Männern sexuell hingezogen zu fühlen, wehrte ich ab, litt an Schuld- und Angstgefühlen. Schwule Männer, die in der Öffentlichkeit beschimpft oder zusammengeschlagen wurden, sind in meiner Erinnerung.
Männer, die sich als „schwul“ bezeichnen zu treffen, zu fotografieren, ohne Angst vor Verfolgung zu haben, ist leider auch heute nicht selbstverständlich: in 6 Ländern werden homosexuellen Handlungen mit dem Tod bestraft, in fünf weiteren Ländern könnte die Todesstrafe unter bestimmten Bedingungen gegen Homosexuelle ausgesprochen werden. Insgesamt wird in 69 Staaten gleichgeschlechtliche Sexualität noch strafrechtlich verfolgt (Quelle: LSVD Lesben und Schwulenverband)
Seit 2017 fotografiere ich in der Box auch an öffentlichen Orten (UdK Rundgang, Galerien, Europäischer Monat der Fotografie)) live Ausstellungsbesucher*innen, die spontan Lust haben, sich fotografieren zu lassen und andere, mit denen ich in der Galerie zum Fotografieren verabredet bin.
Die Box lässt sich per Flügeltür auf Wunsch schließen und ermöglicht so auch im öffentlichen Raum „Privatheit“ und „Intimität“.